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Aus dem Alltag eines Anwalts: Der Klügere gibt nach
In den allermeisten Fällen besteht zwischen Rechtsanwalt und Mandant so eine Art Wissensgefälle. Dieses kann sich zum Beispiel daraus ergeben, dass der Mandant Automechaniker ist und daher weiß, wie man ein kaputtes Kraftfahrzeug repariert, wohingegen der Rechtsanwalt das nicht tut.
Das Wissensgefälle kann sich andererseits auch daraus ergeben, dass der Rechtsanwalt im Recht kundig ist und weiß, wie der Mandant zu seinem Recht kommt, wohingegen der Mandant das nicht tut.
Es ist völlig normal, dass unterschiedliche Menschen aufgrund unterschiedlicher Ausbildung unterschiedliche Fertigkeiten erworben haben.
Dementsprechend würde ein (kluger) Rechtsanwalt seinem Mechaniker zwar einen Reparaturauftrag erteilen, ihm aber nicht erklären, wie er das Fahrzeug zu reparieren hat. Gleichermaßen würde ein (kluger) Mechaniker einen Rechtsanwalt z.B. beauftragen, eine Forderung durchzusetzen, ihm aber nicht erklären, wie er dies zu tun hat.
Im Alltag lernt man allerdings schnell, dass nicht ausschließlich kluge Menschen aufeinandertreffen. Viele Menschen haben eine besondere Begabung darin, das beschriebene Wissensgefälle zu ignorieren. Bildlich gesprochen meine ich hier den Patienten, der seinem Zahnarzt den Umgang mit dem Bohrer erklärt.
Nicht selten und auch bedingt durch zahlreiche fachfremde Ratgeber beispielweise im Internet erlebt man es daher auch als im Recht kundiger Rechtsanwalt immer wieder, dass der im Recht nicht ganz so kundige Mandant glaubt, seinen Rechtsanwalt belehren oder anleiten zu können.
In einem durch meinen Kollegen Herrn Rechtsanwalt Ulrich Schreiner bearbeiteten Mandat durfte ich kürzlich dafür einen der möglichen Gründe erfahren. Da der Kollege außer Haus war, nahm ich einen Anruf in Vertretung entgegen und erfuhr, dass der Mandant sich nach dem Sachstand erkundigen wollte. Es ging um eine Verkehrsunfallsache, die sich (der Mandant wusste das nicht so genau) wohl schon zwei bis vier Monate hinzog – eine aus Anwaltssicht nicht ungewöhnlich lange Verfahrensdauer, dem Mandanten aber verständlicherweise zu lang. Ich sagte daher zu, beim Kollegen um Rückmeldung zu ersuchen.
Nach dem Telefonat gab ich die Notiz zur besagten Akte und stellte fest, dass der Kollege bereits mehr als zwei Wochen vorher beim Mandanten angefragt hatte, ob mangels außergerichtlicher Fortentwicklung nunmehr Klage eingereicht werden solle. Ich nahm dies zum Anlass, nochmals zum Telefon zu greifen – denn dem Mandanten war die Sache ja eilig, und an sich bedurfte es nur eines knappen Jas oder Neins, so dass die Sache vorangetrieben werden könnte.
Der Mandant hatte natürlich die zwei Wochen alte E-Mail noch nicht gelesen; erstaunlich war dann allerdings, dass sich das weitere Telefonat nicht darauf bezog, ob nun Klage eingereicht werden solle oder nicht. Vielmehr durfte ich mich an tief-philosophischen Ausführungen des Mandanten darüber erquicken, dass a) derartige Verzögerungen nicht üblich seien, b) es nicht verständlich sei, warum der Gegner sich weder melde noch zahle und c) ich den Kollegen doch anweisen solle, diverse weitere Erkundigungen, z.B. nach Sachbearbeitern bei der Versicherung, einzuholen und sodann an den Mandanten weiterzuleiten, so dass dieser sich dann der Sache auch noch annehmen könnte. Denn, so wurde ich informiert, sollte er hierbei erfahren, dass es einfach noch ein wenig dauern würde, dann würde er eben noch ein wenig warten, würde er hingegen erfahren, dass es ein Problem geben würde, so würde er sofort klagen wollen.
Dieser Logik konnte ich zugegebenermaßen nicht ganz folgen, ging es dem Mandanten doch zu Beginn noch um eine schnelle Erledigung der Sache, wohingegen er jetzt bereit wäre, sich vom Gegner mit typischen Versicherungsfloskeln hinhalten zu lassen.
Mein Hinweis darauf wurde ignoriert, stattdessen erhielt ich folgenden Befehl: „Ich bin Ihr Auftraggeber und Sie tun was ich sage.“
Den Inhalt des weiteren Telefonats spare ich mir, man könnte aber formulieren, dass die Stimmung sich erhitzt hatte. Letzten Endes ließ ich den Mandanten in seinem Irrglauben und verfasste eine weitere Notiz an den Kollegen.
Zum einen, weil ich meine Arbeitszeit lieber sinnvoll für unsere Mandanten nutze. Zum anderen, weil es müßig ist, Mandanten zu erklären, was genau der Rechtsanwalt eigentlich für den Mandanten zu tun hat bzw. tut.
Denn insoweit hat der Mandant natürlich Recht: als Auftraggeber ist er derjenige, der das Ziel vorgibt und am Ende den ganzen Spaß bezahlt. Wichtig ist aber: wie der Mandant an dieses Ziel kommt, ist nicht Aufgabe des Mandanten, sondern des Rechtsanwalts – und das heißt auch, dass dieser die sinnvollen und notwendigen Schritte ergreift, nicht aber, dass dieser auf ein Fingerschnippen des Mandanten hin zu hüpfen beginnt.
Mit Spannung erwarte ich schon den ersten Mandanten, der mir beim Diktieren meiner Schriftsätze behilflich sein wird.