Die Corona-Pandemie hat uns alle seit mehr als einem Jahr im Griff. Jeder von uns…
Aus dem Alltag eines Anwalt: Corona-Demonstration in Berlin verboten (?)
Die initiative Querdenken 711 hatte u.a. für den 29.08.2020 in Berlin unter dem Motto „Berlin invites Europe – Fest für Freiheit und Frieden“ eine Versammlung angemeldet, bei der gegen die Einschränkung von Grundrechten durch die Corona-Maßnahmen der Regierung demonstriert werden sollte. Am gestrigen Tage allerdings wurde der Initiative ein Bescheid zugestellt, mit dem ein Versammlungsverbot ausgesprochen wurde.
Kurz nach Bekanntwerden des Verbots haben sich die Meldungen in den verschiedenen Medien überschlagen. Dies geht von Berichten in den sog. Mainstream-Medien betreffend das Versammlungsverbot als solches über an dem ausgesprochenen Verbot geäußerte Kritik durch einzelne Journalisten bis hin zu Aufrufen von Menschen, die an der Demonstration teilnehmen wollten, trotz des Verbots nach Berlin zu fahren.
Den Bescheid hat die Initiative auf ihrer Internetseite veröffentlicht und damit für jedermann zugänglich gemacht.
Auch wenn ich als Rechtsanwalt eher selten, oder genauer gesagt: bislang noch nie, im Versammlungsrecht tätig bin und meine Kenntnisse insoweit doch etwas eingerostet sind, habe ich den Bescheid sehr interessiert zur Kenntnis genommen, da Eingriffe in Grundrechte immer ein juristisch spannendes Feld sind.
In einer durchaus längeren Begründung wird dabei seitens der Behörde dargestellt, aus welchen Gründen die Versammlung nicht stattfinden darf. Nach meinem persönliche Dafürhalten war dabei auffällig, dass die Begründung im Wesentlichen eine mehrmalige Wiederholung ein und desselben Arguments war, das mehr oder weniger in die Richtung ging, dass bei einer vorangegangenen Demonstration zahlreiche Verstöße gegen das Abstandsgebot wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes festgestellt worden seien, so dass insoweit eine Wiederholung zu befürchten sei. Zum anderen rechnet die Behörde offenbar damit, dass (auch) eine Versammlung von „unerwünschten“ Personengruppen erfolgen würde. Im Bescheid stellt die Behörde insoweit klar, dass „bei bisherigen Versammlungen zum Thema (…) eine Zusammensetzung [gegeben war], die von bürgerlichen Klientel bis hin zu Angehörigen rechtsextremer Gruppierungen reichte.“ Der Einfachheit halber hat die Behörde sich in dem Bescheid sodann entschieden, solche Menschen, die gegen die Maßnahmen der Regierung gegen Corona demonstrieren wollen, pauschal als „Corona-Gegner“ zu zusammenzufassen.
Jedenfalls: im Ergebnis läuft es darauf hinaus, dass die Behörde davon ausgeht, dass Corona-Gegner sich nicht an staatlich verordnete Schutzmaßnahmen halten würden, aus diesem Grund als Corona-Gegner durch ihre Zusammenkunft einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt wären bzw. andere einem solchen erhöhten Risiko aussetzen würden und mithin die Versammlung zu verbieten sei.
Auf diese Idee mag man durchaus kommen.
Man kann aber auch auf die Idee kommen, dass die Begründung nicht den Anforderungen genügt, die an ein Verbot einer Versammlung zu stellen sind.
Auch wenn es schon eine ganze Zeit her ist: aus meiner Ausbildung ist mir noch erinnerlich, dass das Versammlungsrecht ein überaus wichtiges Grundrecht ist. Die Vorlesungen im öffentlichen Recht, denen ich an der LMU in München beiwohnen durfte und in denen u.a. zwei nicht ganz unbekannte Menschen – Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier und Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio – gelehrt haben, haben sicherlich dazu beigetragen, dass mir noch beim Lesen des Bescheids gestern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingefallen ist, die da den schönen Namen Brokdorf trägt (Fundstelle: BVerfGE 69, 315 – 372).
Einer der Leitsätze der Entscheidung lautet wie folgt:
4. Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist. (…)
Nun bin ich wie gesagt nicht regelmäßig im Versammlungsrecht tätig und es mag durchaus möglich sein, dass meine Wertung hier unzutreffend ist.
Ich aber verstehe diese Grundsatzentscheidung erst einmal dahingehend, dass eine Versammlung nur dann verboten werden kann, wenn die gesamte Versammlung einen unfriedlichen Verlauf nimmt. Und nicht schon etwa dann, wenn einzelne Teilnehmer sich unfriedlich verhalten.
So oder so: das aus meiner Sicht eigentlich Interessante an dem Bescheid ist nun meiner Meinung nach die Begründung auf Seite 7 des Bescheids:
„Wird zu der zu besorgenden Unterschreitung des Mindestabstandes hinzu genommen, dass die Teilnehmenden bei einer sich bietenden Versammlungsgelegenheit unter weitestgehender Missachtung staatlicher Vorgaben wie dem Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen in Gruppenform zusammenkommen wollen, wird das davon ausgehende Infektionsrisiko exponentiell gesteigert. Diese Personen nehmen dabei teilweise auch weite Anreisen in Kauf. Sie werden demnach jede Möglichkeit nutzen, zum Zwecke des Ausdrucks ihrer Meinung gemeinsam auf die Straße zu treten. Im Hinblick auf die gute Vernetzung der „Corona-Gegner“ untereinander, dürfte es dabei letztendlich völlig egal sein, an welcher Versammlung zum Thema teilgenommen wird. Folgerichtig müssen in Berlin alle themengleichen Versammlungen, die für einen größeren Teilnehmerzulauf geeignet sind, behördlich untersagt werden. Würden hiervon nur die geplanten Großveranstaltungen betroffen sein, hätte das lediglich eine Verlagerung hin zu kleineren Versammlungsangeboten zur Folge, was bei noch ungeeigneteren Orten zu einer weiteren Risikoerhöhung führen würde.“
(Hervorhebung durch den Autor)
Diese Formulierung ist deswegen bedenklich, weil hier pauschal anhand des Themas der Versammlung ein Verbot ausgesprochen wird, und zwar unabhängig davon, ob die konkrete Versammlung im Ganzen tatsächlich einen unfriedlichen Verlauf voraussichtlich nehmen wird. Der Behörde genügt es, dass diese Möglichkeit auch bei jeder noch so kleinen, wie auch immer gestalteten Versammlung drohen könnte. Einfach nur, weil Corona-Gegner „zum Zwecke des Ausdrucks ihrer Meinung gemeinsam auf die Straße“ zu treten zu gedenken.
Mein Bauchgefühl sagt mir, dass diese Begründung einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten wird.
Die Initiative Querdenken 711 hat auch bereits angekündigt, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es wird durchaus spannend sein, wie die rechtliche Beurteilung ausfallen wird.
Unabhängig von der rechtlichen Würdigung ist es im Übrigen auch interessant, die trotz des ausgesprochenen Versammlungsverbots ergangenen Aufrufe versammlungswilliger Personen zur Kenntnis zu nehmen. Als Reaktion auf die Bekanntmachung des Verbots haben sich ja nur kurze Zeit später etliche Personen, z.B. in Videos auf YouTube, dafür ausgesprochen, gleichwohl nach Berlin zu fahren. Manche davon formulierten es so, dass dann eben nicht demonstriert würde. Man werde dann eben einfach spazieren gehen. Vielleicht auch gemeinsam.
Ich für meinen Teil habe mir in diesem Zusammenhang eine andere Frage gestellt: wie gestern ebenfalls berichtet worden ist, sind solche Versammlungen, die sich gegen die Demonstration der Initiative Querdenken 711 richten sollen und ebenfalls am den 29.8.2020 stattfinden durch die Stadt Berlin nicht verboten worden.
Was würde nun eigentlich passieren, wenn die Corona-Gegner nun genau das tun würden, was ihnen im Zusammenhang mit der eigenen, verbotenen Versammlung unterstellt wurde? Sprich: was, wenn die Corona-Gegner gleichwohl nach Berlin fahren und einfach mit den Corona-Gegner-Gegnern mitmarschieren und es dadurch zu einem „Themenwechsel“ der Demo käme?
Fragen über Fragen, schauen wir mal, wie es die Gerichte sehen.